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Yin & Yang am Bahnübergang

31 | 03 | 1996
Zen an der Schranke - Yin und Yang am Bahnübergang
Auf der Suche nach Erleuchtung, innerem Frieden und dem Wesentlichen an sich, treibt es alljährlich etliche Abendländler zu den ehrwürdigen Stätten der Weisheit; nach Kathmandu, Poona, Lourdes oder Oberammergau. Dort verbringen sie oft Monate in Meditation und Abgeschiedenheit. Sie erfahren von Meistern, Gurus und Weisen viel über sich und die Welt und kehren dann, geistig gestärkt und körperlich mager, in ihre Heimat zurück. Voller existentieller Erfahrungen, an denen Sie ihre Kollegen bei Kantinengesprächen und während der Pausenaufsicht teilhaben lassen.
Wir glücklichen Großauheimer müssen nicht in die Fremde ziehen, wir haben unseren Ashram vor der Haustür: täglich streben wir zu Fuß, mit Fahrrad oder Automobil zu seit Generationen existierenden Meditationsplätzen, wo gesprochen, gelacht oder auch nur gemeinsam geschwiegen wird. Wir haben unsere Bahnübergänge.
Seit einem Jahrhundert widerstehen diese kommunikativen Sammelpunkte bei regem Publikums- zuspruch jeglichen Anfeindungen und Abschaffungsversuchen. Alle Planungen von Über- und Unterführungen oder gar Bahnstreckenverlegungen erwiesen sich als illusorische Fehlschläge. Uns bleibt das Gewohnte. Fortwährend, in einem geheimnisvollen Rhythmus, trennen ferne Mächte unsere Alltagswege. Das helle "Bim-Bam" der sich senkenden Schranken ruft die Gemeinde zusammen, läßt Jung und Alt, Mann und Frau in ihrer Tageshetze innehalten.
Nutzen wir doch dieses Zeitgeschenk und stellen uns vor: Meditationsstationen oder "New Age Points" beiderseits der Bahnübergänge; Buswartehäuschen ähnlich, allerdings wetterfest dachbegrünt, anthroposophisch sanftrund geschwungen, ansprechend bemalt und innen mit robustem Sisalteppich ausgelegt.  Pflege, Reinigung und Instandhaltung sollte als Ehrendienst aller Großauheimer angesehen werden.
Weltoffen, wie wir Auheimer nun einmal sind, wird auch diese Einrichtung überparteilich, multikulturell und allen Menschen zugänglich sein. Dies läßt auf staatliche Zuwendungen hoffen. Trotz der finanziellen Verlockung muß aber bei der Wahl von Sponsoren äußerst behutsam vorgegangen werden. Allzu grelle und marktschreierische Werbung bringt letztendlich jeden vor den Schranken Harrenden aus dem meditativen Gleichgewicht. Hier wird sich der Gewerbeverein in Selbstdisziplin üben. Heben wir also den Kopf aus unserem Großauheimer Süppchen und schauen über den Tellerrand: welche Perspektiven bieten sich da unserer ehrwürdigen Heimat! Welche Möglichkeiten hat ein Wallfahrtsort Großauheim mit seiner verkehrstechnisch hervorragenden Lage in Westeuropa!  Noch ist eine angemessene Einbindung in RMV und den avisierten Verkehrs- entwicklungsplan möglich- was für eine Chance für Hanau, durch sein Kronjuwel Großauheim in den esoterischen Reiseführern dieser Welt einen festen Platz zu finden!
Blicken wir in die Zukunft.  Zur Sicherung der mentalen Stabilität der Großauheimer Waldsiedlungs-bewohner empfiehlt sich der sofortige Abriß bzw. Rückbau der Depotstraßenbrücke im Rahmen einer integrativen, großzügigen Lösung "Erlebnisbahnübergang Spitzenweg"!' Nicht vorhandene Gelder dürfen hierbei keine Rolle spielen.
Erfreulich die Aktivitäten der Deutschen Bahn am Übergang Hanauer Landstraße: parallel zur Fertigstellung neuer Wohngebiete konnte dort die mittlere Schrankenverweildauer beachtlich gesteigert werden. Lediglich im Bereich Krotzenburger Straße sind noch Defizite vorhanden. Denkbar ist da ein mobiler Phantom-Übergang, dessen Standort in Bürgerversammlungen basisdemokratisch bestimmt werden sollte. Seit Jahrzehnten ein Geheimtip für Langzeitmeditierende sind die Bahnübergänge In den Heideäckern. Hier, zwischen den Gleiskörpern, hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, trifft man verschworene Gemeinschaften, wahre Insider der scene: asketische Radler, hundebespannte Ruheständler und schwarzgekleidete Bahnwerker, die manchmal bei Rangierarbeiten auch Zugabewünsche erfüllen. Kleine Wunder, Perlen des Alltags, die uns nur bewußt werden müssen.
Geben wir also unsere Erfahrungen weiter. Finden wir den Mut, unsere Visionen Wirklichkeit werden zu lassen. Nutzen wir die brachliegenden Synergien der zu unrecht geschmähten Bahnübergänge, damit bald alle Welt weiß: Großauheim ... (er)lebenswert! => zurück zur auswahl

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